Wir haben so die Möglichkeit, rückblickend die individuelle Sicht auf die aktuellen Ereignisse zu prüfen und deren historische Einordnung anzupassen.
Mir ist dazu ein Gedanke wichtig:
Kriege sind keine Naturkatastrophen, sie brechen nicht aus.
Sie werden gemacht. Durch Feindbilder, autoritäre Denkmuster und Propaganda werden sie verbreitet.
Die ungeheuerlichen Ausmaße und Folgen des von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieges sind einzigartig in der Geschichte: Über 60 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte von ihnen Zivilisten, verloren ihr Leben durch kriegerische Handlungen, Völkermord in Lagern, Bombardierung, Flucht, Vertreibung und Verschleppung. Der Zweite Weltkrieg dauerte 6 Jahre und 2 Tage. In jeder Stunde verloren durchschnittlich 1.139 Menschen gewaltsam ihr Leben.
Mit dem rückblickenden Wissen ist der 8. Mai, der „Tag der Befreiung", der Beginn eines neuen Kapitels. Befreiung der Insassen der Konzentrationslager, der Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager und der Gefängnisse des NS-Terrorregimes. Für viele Deutsche brachte der 8. Mai den Beginn einer ungewissen und leidvollen Zukunft. Zum Teil folgte eine jahrelange Kriegsgefangenschaft unter menschenverachtenden Bedingungen, Tod oder aber Flucht und Vertreibung aus der Heimat.
Der Preis, den die Menschheit für diesen Krieg zahlen musste, ist unglaublich.
Ohne Zweifel ist 1945 ein Epochenjahr, das für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zum Fall der Mauer 1989 und dem Ende des Kalten Krieges bestimmend war und bis heute wirkt.
Die Leistungen der Verständigung und der Annäherung der Völker stehen auch im Gedenken zum Volkstrauertag 2020. Vor 70 Jahren legte der französische Außenminister Robert Schuman den Grundstein für unsere heutige europäische Integration. Vor 50 Jahren wurde mit den Verträgen von Moskau und Warschau die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn vorangebracht, vor 30 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt.
Wir Menschen in Europa, zumindest in weiten Teilen Europas, haben uns an ein Leben in Freiheit, Demokratie und Frieden gewöhnt. Die kollektive Erinnerung an das Grauen des Krieges, die zerstörerische Kraft von Nationalismus und Protektionismus verflüchtigen sich. Der Verlust der Erinnerung ist eines der schwersten und folgenreichsten Übel unserer Zeit. Man sollte nicht einen ungeheuerlichen Krieg überlebt oder die Willkür einer Diktatur überlebt haben müssen, um die Friedenskraft und die Rechtsstaatlichkeitsgarantie der Europäischen Integration wertzuschätzen.
Wir sollten die Einsicht „Nie wieder Krieg" mit dem Gedanken „Gemeinsam für den Frieden" verbinden. Frieden ist keine Selbstverständlichkeit.
Achten wir gemeinsam darauf - gerade heute.
Ihre
Heidemarie Matzik
Ortsvorsteherin